Donnerstag, 22. Oktober 2020

Warum ich nicht mehr zur Jax gehe

Veranstaltungen wie die Jax oder W-Jax leben von einer Illusion: dass die neuesten Technologien den Arbeitsalltag erleichtern und die üblichen Probleme beseitigen werden. Nichts könnte weniger wahr sein.

Selten brauchbares Alltagswissen

Meine erste Jax ist wohl mittlerweile mehr als 10 Jahre her. Mit einer Gruppe von Kollegen, die große Ideen im Kopf hatten, wie wir die IT unserer Bank verbessern könnten, verbrachten wir einige Tage zwischen Häppchen und Konferenzräumen. Von der Jax zurückgekehrt, wünschte sich der Chef in den folgenden Wochen regelmäßige Vorträge über das, was wir dort gelernt hatten und wie wir dies in die Bank einbringen könnten. Es folgten eine Handvoll Vorträge - und es änderte sich ... nichts. Eine Bank-IT wird nicht mal eben von einer Gruppe von Java-Entwicklern erneuert. 

Wie sich herausstellt, haben die Themen der Jax oftmals erstaunlich wenig mit dem zu tun, was gewöhnliche Java-Entwickler und -Architekten in der Realität erleben. 

Mängel in der Organisation

2019 besuchte ich meine letzte Jax (von 2020 wird noch die Rede sein). Ich saß in einem Workshop-Raum mit ca. 200 weiteren Zuhörern und lauschte den Worten von Eberhard Wolff. Bedauerlicherweise hatten die Organisatoren dem Konferenzzentrum wohl nicht mitgeteilt, dass sie eine Konferenz veranstalten. Denn nur durch eine dünne Wand getrennt schien sich unmittelbar neben dem Workshop-Raum eine Großbaustelle zu befinden. Ununterbrochen wurde dort gebohrt und gehämmert, was das Zeug hielt. Den Worten von Eberhard Wolff war so zeitweise kaum zu folgen. Da ich - inzwischen Freiberufler - jedoch viel Geld auf den Tisch gelegt hatte, hielt ich die vielen Stunden durch und betäubte die aufkommenden Kopfschmerzen in den Pausen mit ungesundem Essen. 

Illusionen, die kaum in der Realität ankommen

Was aber hatte ich gelernt? Wie seit Jahren, wurde auch 2019 vor allem das Thema "Microservices" beackert. In dieser neuen heilen Welt schienen viele Probleme der letzten zwei Jahrzehnte der Vergangenheit anzugehören. Die Vortragenden vermittelten den Eindruck, als seien Microservices jetzt überall. Die Zuhörer lauschten andächtig und fragten sich, wann diese heile Welt auch bei ihnen endlich ankäme. Ich machte mir das Vergnügen, in den Pausen herumzufragen: "Setzt ihr denn schon Microservices ein?" Wie sich herausstellte, galt das für die Wenigsten. Allenfalls fing man hier und da an, sich darüber Gedanken zu machen. Nachdem Micoservices nun also bereits seit ca. 5 Jahren in den Magazinen der Organisatoren propagiert werden, sieht die Realität doch größtenteils anders aus.

Und war es früher nicht auch mit "DevOps" schon so? Wer träumt nicht von einer besseren Zusammenarbeit mit dem Betrieb? Jahrelang wurde auch dieses Thema auf der Jax und den einschlägigen Magazinen des Verlags beackert. Wie aber sieht die Realität aus? Wohl in mehr als 90% der Unternehmen dürften bis heute klassische Betriebseinheiten existieren, deren Beschaffungsprozesse, Änderungsmanagement, Sicherheitsanforderungen und vieles mehr einer effizienten Zusammenarbeit mit der Entwicklung mehr im Weg stehen als helfen. Hat sich DevOps durchgesetzt? Wohl allenfalls einige Bruchstücke davon. 

Ein teures Vergnügen für Illusionen

Eine Jax ist - insbesondere für einen Freiberufler wie mich - ein teures Vergnügen: Zur Konferenzgebühr kommt noch der Verdienstausfall. Da kommen in wenigen Tagen die Kosten für einen zweiwöchigen Luxusurlaub zusammen. Kann ich als Freiberufler Illusionen verkaufen und dieses Geld wieder hereinholen? Meine ehrliche Antwort lautet: nein. Meine Kunden wollen erfahrungsgemäß solide und zuverlässige Arbeit auf dem Boden der Realität. 

Das Corona-Meisterstück

Zu dieser Einsicht habe ich mich allerdings erst 2020 durchgerungen. Ich hatte mir zwei Tage freigeschaufelt und meine Tickets bestellt, als der Corona-Lockdown zur Konferenzabsage führte. Wie ich heute weiß, hätte ich meine Teilnahme sofort stornieren sollen, denn in den folgenden Monaten geschah etwas Erstaunliches.

Nachdem klar war, dass die Jax auf einen Ausweichtermin verschoben werden sollte, fragte ich beim Veranstalter zunächst nach den Austragungsbedingungen. Immerhin ist die Jax auch ein Ort der Kommunikation und des Austauschs. Wie aber soll diese Kommunikation stattfinden, wenn Zuhörer nur online teilnehmen und überall außerhalb der Konferenzräume Masken getragen werden? Da ist eine zwanglose Kommunikation schwer vorstellbar. Ich hörte nun erst einmal monatelang nichts. Schließlich fragte ich nochmals nach, und man teilte mir mit, was ich befürchtet hatte: Hybrid-Konzept (d.h. viele Menschen gar nicht vor Ort) und Maskenzwang in allen offenen Bereichen. Ich stornierte meine Teilnahme. Da ich noch nicht bezahlt hatte, dachte ich, war die Sache damit erledigt.

Ich hörte für weitere Monate nichts. Die Jax fand ohne mich statt, ich hatte das Thema bereits vergessen. Da traf im Oktober eine "Zweite Mahnung" bei mir ein. Eine "Erste Mahnung" hatte ich gar nicht erst erhalten. Ich kontaktierte den Verantalter, dass es sich wohl um einen Irrtum handeln müsse, hatte ich doch bereits im August, wenige Tage nach Mitteilung der für mich unakzeptablen Austragungsbedingungen, meine Teilnahme storniert. 

Schließlich meldete sich ein juristisch bewanderter Kollege bei mir. Er teilte mir mit:

"Die von Ihnen erworbene Leistung im Sinne unseres Vertrages wurde (...) von uns erbracht. (...)
Nicht erbracht wurde bislang von Ihnen, die bestellte Leistung zu bezahlen. (...) Kommen Sie dem nicht nach, so werden wir die Forderung an unser Inkassobüro weitergeben. In diesem Fall entstehen Ihnen weitere Kosten."

So kam ich schließlich zur Einsicht. Die Jax verkauft nur Illusionen. Auch die Illusion von einem menschlichen Miteinander.